IHR WERDET SCHON SEHEN!

Die neue Generation formt den Kundenservice

Zumindest in den Großstädten ist es bereits zum Standard geworden, über eine App Lebensmittel zu bestellen, die innerhalb von zehn Minuten geliefert werden. Zauberei? Gorillas, Flink & Co machen es vor, wie man Lagerlogistik, Transport und E-Commerce in der Neuzeit denkt. Wie lange dauert es, bis die Schnittstelle Mensch bei all der technologischen Entwicklung keine Rolle mehr spielt und wo bleiben für den Customer Service die Callcenter? Wie denkt die heranwachsende Generation über Distanzkundenservice und warum kann Opa damit so gar nichts anfangen?

Jamal packte im Lager die Tasche mit den Bestellungen und hatte nur noch ganze acht Minuten für die Strecke, die unter zehn Minuten kaum zu schaffen war. Doch sein Arbeitgeber warb genau damit: innerhalb kürzester Zeit zu liefern. Der 23-jährige Rider bestieg sein E-Bike und sauste los. Teilweise über den Bürgersteig, der am Samstagnachmittag in der Wohngegend nicht so vollgestopft war wie in den Einkaufsstraßen. Den Streckenplan der Gegend im Kopf, die nächste Ampel im Blick, um noch vor Rot über die Seitenstraße zu kommen. Immer bedacht, dass ihn kein hektischer Abbieger mit seinem Auto auf die Motorhaube nahm. Und während der ruhigen Phasen auf dem Fahrradweg dachte Jamal darüber nach, ob sich was für ihn verbessert hatte, seit er vor wenigen Monaten aus dem Callcenter raus war und nun für den Lieferservice arbeitete? 

Der Grillabend der Familie Becker in der Kleingartenkolonie hatte noch nicht ganz begonnen, denn die Grillkohle fehlte und die Würstchen und das Bier, das Opa am liebsten trank. Im Sommer nämlich hauptsächlich Weizenbier, aber der Kurier war bestellt und sollte demnächst eintreffen.

„Imponiert mir schon“, sagte Opa zu seiner 18-jährigen Enkelin Maria, „wie man heute einfach nur irgendwo anruft und alles wird ruckzuck geliefert! Aber Du hast doch gar nicht telefoniert, oder?“

„Alles per App mit dem Handy. Weißt du, Opa, vielleicht kommt das in ein paar Jahren alles mit Drohnen oder Lufttaxis und man muss gar nicht mehr bestellen, weil das Internet unsere Gedanken lesen kann und uns immer das bringt, was wir gerade brauchen.“

„Ganz ohne Menschen? Niemals! Du guckst wohl zu viele Science-Fiction-Filme!“

Sohnemann Frank hatte das wohl irgendwie falsch verstanden und mischte sich unqualifiziert ins Gespräch zwischen seiner Tochter und seinem Vater ein. „Meine Lieblingsserie war ja früher Raumschiff Enterprise! Das habe ich eigentlich nie verpasst. Gab es immer samstags, glaube ich.“

„Papa, wir reden hier über die moderne Dienstleistungsgesellschaft. Nicht über alten Shit aus deiner Jugend!“ 

Frank war sprachlos,  nicht, weil er sich nicht verbal wehren konnte, sondern weil er zunehmend erstaunt war, wie tough seine Tochter geworden war. Einerseits freute er sich, dass sie sich nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen ließ, andererseits war ihre Ausdrucksweise manchmal grenzwertig. Es war Opa, der die sekundenlange Stille bewusst aufbrach. „Ich hab ja lange im Kundenservice gearbeitet“, erklärte er seiner Enkelin, doch da bremste schon Jamal direkt vor der Gartentür der Parzelle. Gekleidet mit den äußeren Merkmalen des Lieferservices und einer vollgepackten Tasche auf dem Rücken. Sofort sah er die hoffnungsfrohen und erleichterten Blicke seiner Kunden, die es sich auf Liegestühlen, am Tisch oder auf der bisschen Rasenfläche gemütlich gemacht hatten. Insgesamt fünf Personen guckten zu ihm, als er die kleine Pforte öffnete und das Grundstück betrat, das vielleicht die Größe des halben Basketballplatz hatte, auf dem er öfter mit seinen Kumpels spielte und chillte. Und er konnte chillen, weil er zwar elf Minuten gebraucht hatte, aber keiner so genau auf die Uhr schaute. Wenigstens waren das hier keine kleinkarierten Leute, realisierte er.

„Guten Tag!“ Jamal guckte auf sein Handy. „Wer von Ihnen ist Frank Becker?“

Frank hob die Hand und ging auf den Lieferanten zu. Der öffnete seine Tasche und überreichte die bestellten Waren an den Kunden.

„Wie ist denn das mit dem Bezahlen?“, erkundigte sich Opa bei der Enkelin.

„Läuft alles über die App!“, erklärte sie ihm.

„Apps habe ich auch!“, trumpfte Opa vor der digitalen Generation auf. „Von einer Tageszeitung und einem Fußballmagazin. Die senden mir immer die Spielstände der Bundesliga live aufs Handy. Das ist ein toller Service! Da hat einer ne Menge zu tun.“

„Durch eine digitale Software. Komplett ohne Menschen“, klärte ihn Maria schlagfertig auf. 

Jamal verabschiedete sich derweil und Frank schleppte den Kohlebeutel zum Grill. „Die Party kann losgehen!“, verkündete er vollmundig.

Oma und Schwiegertochter Johanna genehmigten sich darauf einen Prosecco und stießen freudig miteinander an. Maria interessierte sich eher für Opas Vergangenheit.

„In welchem Kundenservice warst du denn früher?“

„Ach, bei einem Schlüsseldienst. War eine tolle Zeit. Ich durfte dauernd ganz offiziell Wohnungen aufbrechen!“, schmunzelte er. „Und dein Vater hat mich in deinem Alter öfter begleitet.“ Er sah zu seinem einzigen Sohn, der am Grill allmählich Fortschritte machte und erste Rauchzeichen sendete.

Maria war ganz erstaunt über ihren Papa. „Wieso hast du ihn denn mitgenommen?“

„Weißt du, damals, Ende der 80er-Jahre, hatten wir teilweise eine schwierige Zeit miteinander. Wie das manchmal so ist zwischen Eltern und jugendlichen Kindern. Und da hab ich ihm als pädagogische Maßnahme angeboten, mich zu begleiten, wenn ich Schlösser auswechseln oder Türen aufhebeln musste. So was sah man ja sonst nur in Krimis.“

„Und wie fanden die Kunden das, wenn du mit deinem Teenager-Sohn auftauchst?“

„Er war ja nur bei Alltagsaufträgen dabei. Wenn ich von der Polizei angerufen wurde oder nachts ran musste, weil sich ein Besoffener ausgesperrt hatte, da bin ich natürlich alleine hin.“

„Boah! Stelle ich mir echt krass vor, wenn du da so einen Alki vor dir hast!“

„Naja, einerseits sind die froh, dass sie sich ins Bett hauen können, andererseits bekommst du deren Wut auch direkt ab. Weil das natürlich etwas teurer ist, wenn du spät noch irgendwo hinfahren musst. Oder wenn es denen nicht schnell genug geht, weil sie dringend aufs Klo müssen. Teilweise musste man aber auch mehrere Stunden auf den Schlüsseldienst warten. Nix mit Smartphone-App und 10 Minuten …“

Maria freute sich über diese alten Geschichten. Frank kam hinzu und hatte ein Bier in der Hand, allerdings das Weizenbier für seinen Vater. Der es kaum erwarten konnte und einen amtlichen Schluck nahm, was Maria noch mehr amüsierte.

„Opa berichtet gerade über eure Zusammenarbeit beim Schlüsseldienst!“

„Oje! Die ollen Kamellen!“, schüttelte Frank den Kopf. 

„Als der Kundendienst noch von Menschen aus Fleisch und Blut geleistet wurde!“, erinnerte ihn Opa.

„Und von Service-Mitarbeitern, die nach Schweiß und billigem Aftershave dufteten!“, rief Frank ihm ins Gedächtnis.

„Ich habe damit immer nur eine gewisse Kompetenz verströmt“, machte Opa klar.

„Na, ich weiß noch, wie wir mal einen Monteur wegen der Waschmaschine kommen lassen mussten! Danach hat unser Badezimmer locker zwei Stunden nach dessen Discounter-Parfüm gerochen!“, lachte Frank über die damalige Begegnung mit dem persönlichen Kundendienst. „Da wäre mir ein Distanzkundenservice à la Callcenter oder ein Roboter wesentlich lieber gewesen!“

Oma und Johanna hatten den Tisch bereits für alle Personen gedeckt und es sich auf den Gartenstühlen gemütlich gemacht. Johanna blickte zu ihrer Tochter rüber, die sich mit Opa und ihrem Mann unterhielt. „Ich bin echt froh, dass Maria mal eine volle Stunde lang ihr Handy vergisst“, teilte sie Oma mit.

„Ich dachte, ihr wolltet dieses ‚digital detox‘ mit ihr machen?“

„Klar, aber sie starrt trotzdem den halben Tag wie hypnotisiert auf ihr Smartphone.“

„Steht da auch drin, was Maria mal beruflich machen will? Jetzt, wo sie bald mit der Schule fertig ist.“

Johanna nahm einen Schluck Prosecco und zuckte mit den Schultern. „Manchmal hört sich das ganz realistisch an, sie hat mal Tierärztin als Beruf erwähnt, aber dann ist sie total versponnen und das klingt dann echt befremdlich. Sie möchte die Stimme der Haushaltsroboter werden, ohne die die Menschen zukünftig nicht mehr leben wollen. Und der Roboter soll dann nach ihr benannt werden: Maria!“

Jetzt wurde es auch Oma mulmig und sie griff sich ihr Glas Prosecco.

Jamal war zum Lager des Online-Marktes zurückgekehrt und bekam Hilfe von einer Kollegin beim Bepacken seiner Tasche. Doch auch zu zweit ging es nicht wirklich schneller, so hatte er wieder nur wenige Minuten, um alles pünktlich zu liefern. Die einzige Entspannung für ihn war, sich vom Zeitdruck zu lösen, indem er seinen Gedanken auf der Tour freien Lauf ließ. Dass er jetzt meistens an der frischen Luft war und sich körperlich betätigte, während er als Inbound-Callcenter-Agent nur rumsaß und mit Multitasking beschäftigt war. Mittels CTI-Schnittstellen konnte er am Bildschirm die Beratungshistorie jedes Kunden parallel beim Gespräch betrachten. Dazu hatte er auf dem Screen zahlreiche Features der Telefonanlage zur Auswahl:     

Eine Besetztlampenfeld-Funktion, Rufumleitungen, IVR-Menüs, Anrufbeantworter, Parallelruf, Ringschaltungen, Gruppierungsfunktionen, Transfer-and--Hold-Features, Makeln, Ansagen-Administration, Wallboard- oder Teamleiterübersichten, Mailbox- und Rückruffunktionen, standortunabhängige Nutzung über Browser und flexible Skalierbarkeit. Doch irgendwie schien Jamal, dass die pure Existenz hochwertiger Technologie nicht das allein Seligmachende war, denn so wahnsinnig viel Bock, eine Hotline anzurufen, hatten nur die wenigsten. Und das, obwohl er und seine Kolleg:innen wirklich kompetent Auskunft geben konnten.  

„Handys bringen Leute aus der Ferne in deine Nähe und Leute in Deiner unmittelbaren Nähe entfernen sich“, philosophierte Opa über die moderne Technik. 

„Ich sehe schon, du nutzt dein Smartphone fast ausschließlich zum Telefonieren“, entgegnete seine Enkelin. „Das ist so, als würdest du ein Raumschiff nur als Objekt am Flugplatz rumstehen haben, statt damit das Weltall zu erforschen!“

Frank hob erneut die Augenbrauen über seine Tochter. Manchmal haute sie echt erstaunliche Statements raus, die ihn geistig schwer forderten. Um nicht wie ein Dinosaurier auszusehen, steuerte er etwas bei, das er in einem Online-Artikel über Distanzkundenservice gelesen hatte: „Durch die zunehmende Technisierung aller Lebensbereiche haben wir uns vielleicht alle angewöhnt, wenig auf uns selbst zu vertrauen. Der Mensch neigt eben zur Bequemlichkeit und macht sich sukzessive von analogen oder digitalen Hilfsmitteln abhängig. Es schmeichelt unserer Faulheit und macht uns am Ende zu lebensuntüchtigen Trotteln mit smarten Handys. Wir sind allmählich komplett in der Hand von Robotern! Und wenn die mal streiken, dann schaltet sich automatisch ein Hotline-Roboter ein und erklärt dem Roboter, der unser Leben steuert, was er falsch gemacht hat!“

Oma und Johanna wendeten mittlerweile ganz ohne technische Hilfe oder künstliche Intelligenz die Steaks und Würstchen auf dem Grill. Dann fiel Johanna etwas ein: „Sag mal, funktioniert dein Handy eigentlich wieder?“

Oma rollte mit den Augen. „Gottseidank! Das war ein Abenteuer! Bloß, weil mein Anbieter allen Kunden eine neue SIM-Karte zuschicken wollte.“

„Was kann denn an einer postalischen Zustellung so schwierig sein? Machen wir doch schon seit Hunderten von Jahren.“

„Zuerst hatte man mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass ich eine neue SIM-Karte bekomme. Dann kam die nicht rechtzeitig. Und bevor ich nicht mehr telefonieren kann, hab ich bei deren Hotline angerufen. Da musste ich zwar erst über die Tastatur von meinem Handy durch mehrere mechanische Fragen durch, dann die Melodie der Warteschleife ertragen, die einem nach zwei Minuten richtig auf den Keks geht, aber danach hat mich eine Dame beruhigt, dass sich alles um einen Monat verschiebt. Und weil sie einen britischen Akzent hatte, hab ich sie gefragt, ob sie aus England sei. Da hat die mir erklärt, dass ich gerade mit einem Callcenter in Dublin telefoniere. Und weil sie mein Geburtsdatum wohl auf ihrem Computer hatte, erkundigte sie sich, ob ich denn nächstes Jahr meinen siebzigsten Geburtstag groß feiere? Fand ich echt aufmerksam, vermutet man sonst gar nicht von solchen Hotlines.“

„Ja, erstaunlich“, wunderte sich Johanna. „Normalerweise haben die doch so einen Druck, möglichst viele Kunden pro Tag zu schaffen.“   

Jamal schätzte am Lieferservice, dass er wieder direkten Kontakt mit Menschen hatte. Nicht nur eine Stimme in der Leitung, sondern das wahre Leben. Diesmal war es eine Studentinnen-WG, die viel Hipster-Brause, Obst, Gemüse und zwei Flaschen Wein haben wollten. Ganz hübsch, die Mädels, dachte er sich und hätte sich sowohl über ein wenig Trinkgeld als auch über eine Einladung nach Feierabend gefreut, doch beides blieb ihm versagt. Allerdings bekam er pro Tag schon bis zu 60 Euro Tip zusammen, was als Callcenter-Agent nicht möglich war. Insofern verdiente Jamal jetzt deutlich mehr im Monat und das motivierte ihn zusätzlich, einen pünktlichen und höflichen Kundenservice anzubieten. Auch, wenn er mal nicht so gut drauf war, an der Kundschaft ließ er es möglichst nicht aus. Das hatte er beim Inbound am Telefon gelernt: cool bleiben, selbst wenn der Kunde durchdrehte. Trotzdem wollte er nicht dorthin zurück, denn die Zeiten änderten sich im Distanzkundenservice gerade, weil eine jüngere Generation sich lieber selbst half. Sie nutzten die zunehmenden Angebote auf den Websites der Industrie, individuell auf Produkte oder Dienstleistungen zugeschnittene Help-Bereiche zu frequentieren. Funktionierte letztendlich wie eine Suchmaschine, in die man sein Problem eingab und Treffer mit Antworten bekam. Der Trend spaltete die Kundschaft in zwei Lager: in diejenigen, für die das Selbstrecherchieren selbstverständlich war und in diejenigen, die trotzdem lieber mit einem Menschen sprachen, statt auf einen Monitor zu starren. Jamal ahnte, dass Callcenter es in Zukunft schwer haben würden. Und er hatte es satt, dort trotz seiner Fähigkeiten bezahlt zu werden wie ein ungelernter Praktikant.

„Technologischer Fortschritt ist wahrscheinlich mit geistigem Rückschritt erkauft“, erläuterte Frank seiner Tochter väterlich. „Sprich bitte nicht mit vollem Mund“, ermahnte ihn seine Mutter wie einen ungezogenen Teenager. Denn die ganze Familie Becker saß nun zusammen am Gartentisch und hatte die Teller voll mit frisch Gegrilltem samt Beilagen. Frank nahm es mit einer abwertenden Geste zur Kenntnis, seine Tochter schmunzelte über solche innerfamiliären Verhaltensmuster, die sie schon lange kannte.

Doch dann wurde Maria plötzlich von Oma gegrillt: „Was willst du denn jetzt beruflich machen?“ Das Elternpaar Johanna und Frank warf sich einen Blick zu, denn beide mutmaßten, dass es nun ungemütlich werden konnte. Opa hingegen war neugierig. 

„Wahrscheinlich werde ich Avatar“, verkündete die 18-jährige etwas kryptisch.

„Kann mir das irgendwer erklären?“, bat Oma.

„Hat jemand ‚Ready Player One‘ gesehen?“, fragte Maria.

Hatte niemand, aber Frank wusste, dass es ein Steven Spielberg-Film war. Seine Tochter nicht, aber die beiden schienen von demselben Kinofilm zu reden. Maria erklärte den älteren Generationen, worum es ging: „Ein junger Typ versucht aus seinem sozialen Elend rauszukommen, indem er an einer Schatzsuche in der virtuellen Welt teilnimmt. Dafür muss er seine VR-Brille aufsetzen und sich dann durchkämpfen.“

„Also wie ein Videospiel, oder wie?“, versuchte Johanna ihre Tochter zu verstehen. 

„Genau. Und dieser Mensch, der man in der Virtual Reality ist, das ist ein Avatar!“

Das ließ die Familie erst mal sacken, bevor Frank etwas Licht ins Dunkel brachte. „Bei Computeranimationen muss man solche Avatare sehr aufwändig herstellen, die sehen anfangs aus wie nackte Modepuppen im Schaufenster und werden sukzessive individualisiert und gekleidet.“

„Aber es sind doch keine Menschen, sondern Roboter, oder?“, war sich Opa sicher.

Frank pflichtete ihm bei. Was Opa irritierte. Er wandte sich seiner Enkelin zu. „Aber warum möchtest du denn ein Roboter sein?“

„Na, weil sie der perfekte Mensch sind, Opa!“

Frank rieb sich die Augen und spülte seinen Mund mit einem Schluck Bier aus. Johanna vertraute da eher auf ihren Prosecco. Oma fand keinen Zugang zu dieser Idee und hielt sich zurück. Maria bemühte sich, es der Familie näherzubringen.

„In Zukunft sind wir doch eh alle im Metaverse, also in der virtuellen Parallelwelt zu unserer Welt. Jetzt treffen wir uns noch hier im Garten und hocken zusammen, aber in ein paar Jahren setzt sich jeder nur schnell seine VR-Brille auf und dann treffen wir uns an einem fernen Strand oder dem Weltraum, obwohl jeder von uns hier auf der Erde bei sich zuhause hockt.“

„Aha“, versuchte Opa sich das vorzustellen. 

„Und du bist dann unsere Reiseleiterin?“, fragte Oma die Enkelin.

„Nein! Ich nehme doch kein Geld von euch dafür, dass wir uns irgendwo treffen.“

„Aber womit willst du denn mal Geld verdienen?“, wollte Frank wissen.

„Na, als Star“, antwortete seine Tochter ganz selbstverständlich.

„Als Star-Avatar?“, erfand Frank spontan eine neue Wortkombination.

„Yeah!“, war Maria begeistert. „Auch im Metaverse wird es Stars geben.“

Die Mutter hatte lange vor ihrer Tochter im Büro mit Computern zu tun und auch ein Smartphone. Die digitale Welt war ihr also nicht fremd. Doch für die 46-jährige war Virtual Reality eher was aus Hollywood-Filmen oder krassen Serien der Streamingdienste. „Schatzi, ein Star wird nur eine oder einer aus einer Million. Wenn überhaupt. Vielleicht solltest du diese Realität mal sehen, und zwar ohne diese klobige Brille?“

„Und lieber ein Studium anfangen, damit du am Arbeitsmarkt eine Chance hast“, sorgte sich Oma.

„Und wenn der Arbeitsmarkt in der echten Welt nur noch schlecht bezahlte Scheißjobs für meine Generation am Start hat?“, reagierte Maria dystopisch. 

„Aber du kannst nicht vor der Wirklichkeit ins Metaverse fliehen!“, wusste Frank.

„Tu ich doch gar nicht!“, verteidigte sich seine Tochter. „Die virtuelle Realität hat ja eine eigene Wirklichkeit! Und von der rede ich! Kapierst du das nicht?“

„Ich hab eher den Eindruck, du machst dir deine eigene Realität.“ Johanna atmete tief durch.

Jetzt stand Maria auf und blickte auf ihre Familie herab. „Wisst ihr was? Ich merke genau an dieser Situation hier, dass ich mit euch richtig viel Geld verdienen kann! Weil ich eure Generation zukünftig an die Hand nehmen muss, um sie mit der neuen digitalen Welt vertraut zu machen! Ich werde einfach eine Star-Beraterin, die ihr für viel Geld konsultieren müsst, um im Metaverse nicht verloren zu gehen. So wie ihr auf mich als kleines Kind aufgepasst habt, damit ich mich nicht im Wald verlaufe oder unbedacht auf die Straße renne, so braucht ihr mich, um euch in der virtuellen Realität zurechtzufinden!“

Ihre Eltern und Großeltern mussten das erst mal schlucken. Frank verzog den Mund. „Klingt ja, als würdest du bei einer Hotline im Callcenter arbeiten! Nur, dass man dich dann auch sehen kann. Zumindest deinen Avatar als deine Stellvertreterin in der VR.“

„Kannst du das nicht als Nebenjob zum Studium zum Geldverdienen machen?“, ging Johanna pragmatisch mit dem Berufswunsch der Tochter um.

„Mitarbeiterin im Service-Center, das ist nun wirklich kein Traumjob“, konnte sich Oma vorstellen.

„Kundendienst ist ein Knochenjob“, wusste Opa aus seinem Berufsleben.

Maria wischte diese kleinkarierten Bedenken mit einer Handbewegung weg. „Das mache ich total chillig von zuhause! Mein Avatar berät eure Avatare! Mit dem Unterschied, dass mein Avatar ein Star ist. Ich werde berühmt! Ihr werdet schon sehen!“ Opa fasste zusammen: „Maria wird eine Beraterin, die denen hilft, die mit der modernen Welt nicht mehr zurechtkommen. Das klingt doch erstmal gut. Ich stelle mir allerdings die Frage, ob Roboter in der Roboterwelt nicht die besseren Helfer sein werden, statt meine kleine Maria aus Fleisch und Blut?“ „Opa hat es verstanden! Und irgendjemand muss halt aufpassen, dass die Roboter so funktionieren, wie sie funktionieren sollen. Und dafür werde ich sicher studieren müssen!“ Win-win-Situation. Es wurde ein schöner Familiennachmittag.

Opa verabschiedete seine Enkelin mit den Worten: „Ich bin froh, dass dir die Zukunft keine Angst macht, sondern dich motiviert. Du bist ein tolles Mädel. – Ich glaube an dich, mein kleiner Star-Avatar!“

 SQUT Redaktion

 

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